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Einsatz einer 3D-360°-Lerneinheit in der praktischen Ausbildung von Handwerkern

Ausgangslage und Ziele

Im Vergleich zu anderen Branchen hat das Handwerk zusammen mit der Bauindustrie noch Nachholbedarf bezüglich der digitalen Transformation (Demary et al. 2016). Gleichzeitig sollten die Möglichkeiten der Digitalisierung im Studium und der beruflichen Ausbildung stärker genutzt und das Thema selbst besser vermittelt werden (Initiative D21 e.V. 2019). Die Befunde deuten darauf hin, dass es für handwerkliche Ausbildungen nützlich sein könnte, neue Technologien in die Wissensvermittlung einzubinden, auch für die Unterstützung der hier besonders wichtigen Kombination aus Theorie und Praxis (Mandl & Kopp 2006).

Im dieser Studie zugrundeliegenden Projekt FachWerk wurden aufgrund der einfachen Erstellung von Inhalten 3D‑360°‑Videos exemplarisch in der praktischen Ausbildung zum Hoch- bzw. Tiefbaufacharbeiter verwendet. Für einen stärkeren Einbezug der Nutzer*innen und eine höhere Gebrauchstauglichkeit wurden die 3D‑360°‑Videos um interaktive Komponenten, beispielsweise durch Blicksteuerung zu benutzende Schaltflächen, ergänzt.
 

Konzept und Umsetzung

Das im Rahmen der Anwendung betrachtete Berufsförderungswerk des Handwerks setzt bereits Lernvideos zur Vermittlung von deklarativem und prozeduralem Wissen in der Ausbildung von Handwerker*innen ein. Für die Umsetzung der 3D-360°-Lerneinheit wurde das Modul „Herstellen eines Küchenfliesenspiegels“ als Arbeitsaufgabe ausgewählt. Der Arbeitsablauf wurde hierfür in vier aufeinander aufbauende Schritte aufgeteilt:

  • Anrühren des Mörtels
  • Anbringen der äußeren Fliesen
  • Befestigen eines waagerechten Lots und der inneren Fliesen
  • Anbringen eines Mörtelkeils über der ersten Fliesenreihe

Der schematische Aufbau der Arbeitsschritte (links) sowie der real umgesetzte Aufbau für die Aufnahme des 3D-360°-Videos (rechts) sind in Abb. 1 zu sehen.

      
Abbildung 1: Schematischer (links) sowie realer (rechts) Aufbau der vier Arbeitsschritte während der Aufzeichnung des 3D‑360°-Videos

Zur Aufnahme des 3D-360°-Videos wurde die Kamera Vuze Plus verwendet. Während der Aufnahme führte ein Auszubildender aus einem höheren Lehrjahr die vier Schritte direkt nacheinander an den jeweils dafür vorbereiteten Arbeitsplätzen durch. Durch die zusammenhängende Aufzeichnung können Nutzer*innen dem Akteur beim Ausführen der Arbeitsaufgabe leicht folgen. Hierdurch sollen die Nutzer*innen auf einfache und natürlich Art durch das 3D‑360°‑Video geführt werden.

Das aufgezeichnete 3D‑360°‑Video wurde gekürzt und um eine Tonspur zur Erklärung der Schritte ergänzt, die dem Wortlaut der konventionellen Lerneinheit entspricht. Eingefügte Banner geben die Nummer und die Benennung der einzelnen Schritte an. Das Banner des aktiven Schrittes färbt sich für die Dauer der Durchführung rot, um die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen zum aktuellen Schritt zu lenken (Abb. 2 links).

      
Abbildung 2: Sicht der Nutzer*innen für den ersten Arbeitsschritt mit der Schaltfläche zum Neustarten mittels Blicksteuerung (links); Videomenü unterhalb der Nutzerin / des Nutzers (rechts)

Als Interaktionsmöglichkeiten wurden Schaltflächen erstellt, mit denen die Anwendung beim Ansehen auf einem Head-Mounted Display (HMD) durch Kopfbewegungen gesteuert werden kann. In Abb. 2 (links) ist eine Schaltfläche sowie die Blicksteuerung zu sehen. Über ein Videomenü zentral unterhalb der Nutzer*innen können übliche Aktionen wie das Starten oder Pausieren des Videos gesteuert werden (siehe Abb. 2 rechts). Alle Details zur Umsetzung finden sich bei Funk et al. (2019).
 

Methoden

Die vorgestellte 3D-360°-Anwendung wurde in einer Studie im Between Subject Design mit Auszubildenden (n = 20) des Berufsförderungswerks des Handwerks mit der konventionellen Lerneinheit verglichen (Abb. 3). Zu Beginn der Studie wurden die Teilnehmer randomisiert einer der beiden Gruppen Laptop (konventionelles Lernvideo) oder HMD (3D-360°-Lernvideo) zugeordnet. Nach beliebig langem Anschauen der entsprechenden Videos wurden Fragebögen ausgefüllt und jeder Teilnehmer fertigte selbstständig einen Fliesenspiegel an.

      
Abbildung 3: Vorbereitung im Versuchsraum mit HMDs oder Laptops (links); praktische Umsetzung des Erlernten in einer Halle der Lehrbaustelle unter Beobachtung eines Raters (rechts)

Die objektive Lernleistung der praktischen Aufgabe wurde durch zwei unabhängige Rater ermittelt. Die Rater verwendeten hierzu einen systematischen Bewertungsbogen, der neben dem Endergebnis bspw. auch das Vorgehen und die Nutzung des Werkzeugs in die Bewertung einbezieht. Die Gebrauchstauglichkeit wurde mit dem SUS-Fragebogen (Brooke 2014) ermittelt. Für die Motivation und die Ablenkung wurden eigene Skalen aus je drei Items verwendet.
 

Ergebnisse

Eine Auswertung der Daten konnte keine signifikanten Unterschiede beim Lernerfolg feststellen; beide Gruppen erreichten beim praktischen Fliesenlegen hohe durchschnittliche Werte im obersten Viertel der Skala. Es konnte außerdem gezeigt werden, dass die Motivation und die Ablenkung in der 3D-360°‑Gruppe signifikant höher waren als in der Gruppe mit der konventionellen Lerneinheit. In Abb. 4 sind die entsprechenden Boxplots abgebildet. (Klingauf et al. 2019)


Abbildung 4: Boxplots der Skalen Lernerfolg, Motivation und Ablenkung, * p < 0,05

Auch die subjektive Meinung der Lernenden zu der genutzten Technologie war in der 3D-360°-Gruppe signifikant besser. Die Gebrauchstauglichkeit der beiden Gruppen unterscheidet sich nicht signifikant (Laptop: M = 81,67; SD = 8,66; HMD: M = 76,25; SD = 14,68). (Klingauf et al. 2019)
 

Zukünftige Arbeiten

Die gesteigerte Motivation durch den Einsatz von 3D-360°-Lerneinheiten in Kombination mit immer günstigeren 360°-Kameras, machen diese Anwendung attraktiv für den breiten Einsatz in der Aus- und Weiterbildung. Neben möglichen Vorteilen ergeben sich bei der Erstellung von 360°-Inhalten auch Nachteile im Vergleich zu konventionellen Videos, bspw. sollte die Kamera während der Aufnahme nicht bewegt werden (Gardonio 2017), wodurch Schwenk-, Groß- und Detailaufnahmen kaum möglich sind (Widmer 2017). Der Umgang mit diesen und weiteren Restriktionen wird in folgenden Arbeiten genauer untersucht werden.
 

Referenzen

Brooke, J. (1996). SUS-A quick and dirty usability scale. Usability evaluation in industry189(194), 4-7.

Demary, V., Engels, B., Röhl, K. H., & Rusche, C. (2016). Digitalisierung und Mittelstand: Eine Metastudie (No. 109). IW-Analysen.

Funk, J., Klingauf, A., Lüüs, A., & Schmidt, L. (2019). Umsetzung einer 3D-360°-Lerneinheit in der praktischen Ausbildung von Handwerkern. In Proceedings of DELFI Workshops 2019. Gesellschaft für Informatik eVz.

Gardonio, S., Gardoniohttps, S., & Gardonio, S. (2018). How to Film VR Videos – 4 Tips for 360 Degrees. Retrieved from https://www.iotforall.com/how-to-film-vr-videos-360-degrees/.

Initiative D21 e.V. (2019). D21 DIGITAL INDEX 2018/2019 – Jährliches Lagebild zur Digitalen Gesellschaft. Retrieved from https://initiatived21.de/app/uploads/2019/01/d21_index2018_2019.pdf.

Klingauf, A., Funk, J., Lüüs, A., & Schmidt, L. (2019). Wirkung von interaktiven 3D-360-Lernvideos in der praktischen Ausbildung von Handwerkern: Vergleich von 3D-360°-Lernvideos mit konventionellen Lernvideos in Bezug auf den praktischen Lernerfolg auf einer Lehrbaustelle. DELFI 2019 : 17.  Fachtagung Bildungstechnologien.

Mandl, H., & Kopp, B. (2006). Lehren in der Weiterbildung aus pädagogisch-psychologischer Sicht. Vom Lernen zum Lehren. Lern-und Lehrforschung für die Weiterbildung.

Widmer, K. (2017). 360 Videos und ihre Zukunft: eine Prognose zur Entwicklung. Retrieved from https://filmpuls.info/360-videos-zukunft/.

Kontaktdaten und weitere Informationen

Johannes Funk
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Fachgebiet Mensch-Maschine-Systemtechnik
Universität Kassel
E-Mail: J.Funk@uni-kassel.de
Telefon: +49(0)561 804 7081